Am Raum abarbeiten
Gedanken zu Karl Kriebels Ausstellung im zs art space   Ich denke und schreibe im Moment viel, fast täglich, über eine bestimmte französische Wanderdüne, weshalb sie mir als eingehendes Bild auch hier in den Sinn kommt: Diese Düne ist an einer Grenze entstanden, nämlich jener zwischen Meer und Küste an der einen Seite und dem Wald auf der anderen. Sobald sie sich aber etabliert hatte, wurde sie selbst zu einer völlig neuen Grenze, die über dieser ersten Grenze entstand und immerfort weiter entsteht. Das besondere an Dünen ist, dass sie immer im Wandel sind und trotzdem mit zu den allerstabilsten Objekten, die ich mir denken kann, zählen. Flut und Wind tragen sie permanent ab, bauen sie im selben Atemzug neu auf und können ihr darüberhinaus nichts anhaben. Die Düne ist eine Grenze, wie Grenzen sein sollten, nicht wie Menschen Grenzen ziehen.

Die Bilder deiner Ausstellung scheinen mir einer solchen Düne eng verwandt zu sein. Ich fand mich schnell verloren in ihren sich aufbauenden Räumen, die ja auf einfacher Ebene von den sie zeichnenden Strichen entworfen und erzeugt wurden, aber sich dennoch als pulsierende Ergreifende nicht von ihnen festmachen ließen und so über sie hinaus griffen, ohne aber die ihnen zugedachte Position in der Bildfläche zu verlassen.
Meine Kenntnisse von Kunsttheorie sind auf ein Semester Einführung in Bremen beschränkt, das schon eine Weile her ist, weshalb ich erstmal meine inkohärenten Notizen zu rausschaffenden Goldgründen und Blickführung außen vorlasse, und lieber das spannende Verhältnis von Linie, Fläche und Raum aus meiner Ecke angehen möchte. Seit ich angefangen habe, an meinen Theorien zu offenen Performancestrukturen (um nicht vage zu sein) zu denken, stehen an allen Ecken dieses Konstrukts rhizomatische Formulierungen, die an manchen Stellen, wie dem performativen Denken durchaus leicht Eingang fanden und auch bildlich gut zu verstehen waren. Wo mich diese Gänge hinführten, war nun das Gebiet performativer Räume. In Konzepten und Formulierungen, fasste das Rhizom nun auch hier schnell Fuß, mir fehlte allerdings immer eine Vorstellung davon, wie nun so ein rhizomatischer Raum aussehen würde. Bis ich vor deinen Bildern stand, wo es schnell Klick machte. Die sich ständig auf sich selbst zurückwerfenden Räume, welche die mehrfachen Ebenen der Linien fassten, bauten, so schien mir, selbst ein Konstrukt auf, welches kontinuierlich in sich schlüssig und stabil war, aber gleichzeitig wuchs jeden Moment ein immerschon aufeinander Bezugnehmendes in der Galerie. Für mich liegen in den Bildern enge Verwandte jener performativer Räume, die ein permanent in Entwicklung bestehendes Theater aufbaut, und in der Hängung der Bilder, die mir als Betrachter soviele mögliche Positionen im Konstrukt der Ausstellung schuf und mich so nicht nur physisch sondern auch sozial in das Flux des Raums stellte, ein Beispiel für die Beziehung, die ein solches Theater, über das ich mir seit mehreren Jahren ständig den Kopf zerbreche, mit den Teilhabenden entwickeln kann.

Um nochmal zum Konzept der Grenze zu kommen: Mir sind die Bilder in ihrem Aufbau auch ein Zeichen für die Möglichkeiten, die die fluktuierenden Grenzen, die unsere Welt und vor allem unsere Wahrnehmung füllen. Sie sind eben keine starren Grenzen, die sich einer Entwicklung in den Weg stellen und verhindern, sondern vielmehr eine grundlegende Voraussetzung eines Inderweltseins und darüberhinaus eines Weltseins, wobei sich, um dem Phänomenologischen auszuweichen, Welt hier vielleicht durch Raum ersetzen lässt. Die pulsierende Räumlichkeit der Grenzhaftigkeiten, wie sie die Bilder deiner setzen, lässt uns erst im Raum agieren und in gewissen Maßen an ihm abarbeiten.
Oktober 2019