Social Medium

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Anmerkungen zur Protokollnatur


In den letzten Monaten, nachdem zuerst die Machenschaften von Cambridge Analytica und in der Folge weitergehende Lecks in unserer sozialen Infrastruktur im Internet zutagegetretenen sind, wurde überall (zurecht) über den Datenschutz auf Facebook und allgemeiner den sozialen Medien gesprochen. Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass diese Präferenzen und Aktivitäten der User*innen abgegriffen werden konnten? Ist Facebook simplerweise zu blöd, um unsere Daten sicherzustellen oder besteht auf einer Ebene oder der anderen eine Komplizenschaft? Und: Warum hat Facebook diese Daten überhaupt? Das waren die wichtigen Fragen, die wir uns stellten und allerorts durchexerzierten.


Das Datenschutzproblem ist ein sekundäres

Diese Fragen sind wichtige Fragen. Was sie nicht sind, ist neu. Cambridge Analytica ist nur der aktuellste und deswegen vermutlich der sichtbarste Auswuchs eines konzeptuellen Problems der social media. Datenschutz ist nicht dieses Problem, wie ich glaube. Natürlich ist der mangelnde Datenschutz ein akutes Problem (mit dem sich nicht umsonst die EU gerade ausgiebig befasst), doch es ist hier nicht das primäre Problem. Die Notwendigkeit eines starken Datenschutzes entgegen wirtschaftlichem wie politischem Missbrauch erwächst schließlich aus dem, wie es scheint, immer größer werdenden Datenhunger seitens der Betreibenden sozialer Netzwerke – wenn Facebook und Twitter keine Daten besitzen würden, müssten diese unsere Daten auf ihrer Seite auch nicht geschützt werden. Nun ist der Habitus des Datensammelns ein sehr zentraler Faktor im Funktionieren dieser sozialer Netzwerke, wie man so oft liest, wenn man die Problematik anspricht: Social media würde nur durch das Zurverfügungstellen und die Abgabe von endlosen Mengen an Daten an Betreibende funktionieren, deshalb solle man sich lieber ganz aus diesen social media herausnehmen. So lautet die technologiepessimistische Konsequenz, die scheinbar logisch aus den Lecks zu ziehen wäre. Nun bin ich nicht allzu technologiepessimisch gestimmt und sehe die vielen Vorteile, die uns die sozialen Medien auf einer kulturellen Ebene bringen und vor allem noch bringen können, mindestens en par mit den negativen Effekten. Grundsätzlich versuche ich, mich hier mehr an Potentialen als an Konsequenzen zu orientieren. Und dieser Haltung folgend, halte ich auch die Aussage, welcher die Position des exits zugrunde liegt, in ihrem Kern für falsch. Das Datenanhäufen und in der Folge das Datennutzen ist nicht notwendig für das Funktionieren sozialer Netzwerke im Internet, sondern für soziale Plattformen. Die Differenz in Vokabeln sollte gleich deutlich werden. Diese Plattformen, beziehungsweise deren Betreibende, sehen die gesammelten Daten als ihr Kapital an und sie sind der Hauptgrund, warum Firmen (nicht Dienste) wie Facebook und Twitter überhaupt wirtschaftlich positionierbar sind. Die sozialen Netzwerke oder Medien allerdings, die auf diesen Plattformen performt werden, benötigen und haben kein Kapital. Hier liegt der Knackpunkt des primären Problems und es ist – wie so oft – ein Problem der Wahrnehmung: Wir nehmen die Plattform Facebook als Netzwerk wahr. Dadurch setzen wir die Plattform und in der Folge die Firma Facebook, die für die Entwicklung und seitdem für den Betrieb des Codes zuständig war, mit dem sozialen Medium, welches durch die Plattform Facebook produziert wird, gleich. Daraus resultiert eine Wahrnehmung der social media-Landschaft, die unheimlich verkürzt ist. In dieser Landschaft gibt es das Medium Facebook, das Medium Twitter, das Medium Google+ etc., so wie in der Zeitungslandschaft zahlreiche Medien existieren. Facebook ist aber keine Zeitung, sondern vielmehr die Idee einer Zeitung. Twitter ist kein personalisierter Dorfschreier mit außergewöhnlicher Reichweite, sondern das Konzept des Dorfschreiers. Die sozalen Medien sind nicht Teil einer großen Landschaft, sie sind selbst jeweils eine ganze Landschaft. Die meisten Probleme, welche beobachtet und beschrieben werden, resultieren aus dem Landschaftsgärtner, der sich zum Platzhirsch erklärt hat. Die aktuelle Situation der social media wäre vergleichbar damit, dass eine Firma das Patent auf „die Zeitung“ hat und alle Medien, sei es die New York Times, die Zeit oder der Standard ihre Ausgaben bei dieser Firma drucken lassen und dazu noch über ihre Kanäle zu ihren Konditionen verbreiten lassen müssen. Denn das Problem ist: Solange wir social media als Firma, die eine Plattform entwickelt und betreibt, denken, denken wir das Ziel des Profits als logische Konsequenz daraus mit. Und eine solche Firma wird nie Kontrolle über Größen wie Nutzerdaten abgeben, weil aus der Kontrolle über diese Daten ihre Gewinnfähigkeit erwächst, da sie der einzige verkaufbare Wert sind, welcher von solchen Firmen produziert wird. Wenn man jetzt mal eine der erfolgreichsten Formen und Errungenschaften der digitalen Revolution ansieht, hat man ein positives Beispiel an der Hand, mittels welchem die Verfehlung der sozialen Medien eklatant sichtbar wird und auch mögliche Zukunften aufzuzeigen sind. Und ja, die Errungenschaft, die ich meine, ist Email. Denn auch im Jahr 2018 schreiben wir alle immer noch zumindest fast täglich Emails, es ist einfach, es ist zweckmäßig und ubiquitös wandelbar und einsetzbar.


Email als Vorbild

Und: Email ist ein Protokoll, das als eine grundlegende Funktion ins Internet eingegangen ist. Email gehört niemandem, auch die Erfinder*innen von Email und diversen Vorgängerprotokollen könnten Email nicht abschalten, wenn sie es wollten. Das Emailprotokoll ist eine Grundrechnungsart des Internets. Und deswegen funktioniert Email, wie es funktioniert. Weil in der Entwicklungsphase vermutlich niemals auch nur zur Debatte gestanden ist, dass das Kommunikationsmittel Email profitabel werden soll. (Dass einzelne Email-Hosts – also in der vorigen Metapher die Zeitungsbuden – durch Werbung etc. versuchen, mit Email Profit zu machen, ist auch klar, ändert aber meiner Meinung nach per se nichts am Konzept.) Und gerade aus einer solchen in der Entwicklung immer schon mitgedachten Zielgerichtetheit wachsen meines Erachtens die Probleme. Eine umfassende Wirtschafts- und Startupkritik sei hier mitgedacht und bei Bedarf einfach selbst formuliert. Was brauchen wir also für soziale Netze, wenn wir nicht gänzlich aussteigen wollen (und als Kollektiv wohl auch nicht mehr können), sondern die gesellschaftlichen Errungenschaften und Kommunikationstechniken, die social media mit sich gebracht haben produktiv und sinnvoll nutzen, aber uns der Problematik nicht ausliefern wollen? Hier komme ich zum eigentlichen Punkt: Es ist meine Überzeugung, dass wir die Datenschutzkrise nicht langfristig dadurch lösen können, immer sicherere Technik zur Feststellung unserer Daten einzustellen, sondern nur dadurch, dass wir das Interesse an unseren Daten aus der Gleichung herausstreichen. Eine interessante Perspektive bietet hierzu das FAZ-Interview mit Lorena Jaume-Palasí von Algorithm Watch (Link). Sie sagt sinngemäß, dass es nicht zielführend ist, technische Entwicklung zu regulieren, weil diese ja per definitionem der jeweiligen regulierten Situation entläuft, es aber nötig ist, den Menschen, die diese Technik entwickeln und einsetzen, eine neue funktionsfähige Ethik zur Hand zu geben. In dieselbe Kerbe scheint mir ihr Text über analoge gesellschaftliche Entwicklungen beim Aufkommen des Autos (Link) zu schlagen. Die sozialen Medien sind nicht grundauf ein Werkzeug des Bösen, im Gegenteil sind sie beziehungsweise ihre Mechanismen ein entscheidendes Mittel, um in unserer Welt, die von uns eine immer schneller werdende Reaktionsfreudigkeit erwartet, einen zivilen Diskurs und damit demokratische Grundstrukturen aufrechtzuerhalten. (Dass diese Mechanismen und diese demokratischen Grundstrukturen missbraucht und dadurch zu einem antidemokratischen Alphorn gemacht werden können, ist nicht neu und sagt meines Erachtens nichts so sehr über die Qualität dieser Mittel aus, als dass sie inhärent fragil sind. [Dass Demokratie möglicherweise sogar fragil sein muss, um demokratisches Performen zu ermöglichen, ist ein anderer Text.])


Daten=Profit?

Wie lässt sich dieses scheinbar so essentielle, weil vermarktbare Interesse am Datensammeln aus der Gleichung streichen? Die Mathematik lehrt uns, dass man dazu ein Äquivalent auf der anderen Seite streicht. Dieses Äquivalent ist der Profit oder vielmehr der Wunsch nach und der Zwang zum Profit. Denn solange das soziale Medium das Ergebnis nicht nur einer Forschung- und Entwicklungsphase ist, sondern über diese hinaus zu einem Produkt einer um es herum aufgebauten Firma/eines Konzerns ist, ist es mit dem Ziel, profitabel zu sein, verbunden. Dieses Ziel, profitabel zu sein, ist schlussendlich in der derzeitigen Konstruktion auch ein verständliches, wird das Netzwerk doch als Produkt angesehen, in dessen Entwicklung investiert wird und das sich nach der „Fertigstellung“ rentieren soll. Ähnliche Phänomene sind bei der Bahn oder der Post, grundsätzlich allen Infrastruktur-Unternehmungen, zu beobachten. All diese Fälle haben es auch gemein, dass der Vektor Profit der vollständigen Funktionsfähigkeit der Infrastruktur hinderlich ist. Sinnvoll wäre daher, ein neues Ziel auszuschreiben, nämlich das der Verbesserung der Infrastruktur und damit des öffentlichen Diskurses. Durch solche Hauptziele wäre eine weitgehende Befreiung des sozialen Mediums aus den engen Fängen der profitgesteuerten Datensucht möglich, auch dadurch, dass kein Unternehmen, welches Daten anhäufen könnte, mehr bestehen würde. Wenn wir das soziale Medium ernsthaft in den öffentlichen Diskurs, den es längst besetzt und den es im Marketingsprech als Hauptmotivation angibt, einbinden wollen, braucht es eine neue Struktur, angefangen in der Entwicklung. So wäre es doch denkbar, diese gewünschte Innovation durch öffentlich finanzierte Projekte zu betreiben und, nach Abschluss der primären Entwicklung – und das scheint mir essentiell – die Kontrolle und Aufrechterhaltung dem öffentlichen Kollektiv zu übergeben. Kurzum: Das soziale Medium soll zu einem Protokoll werden. Nur so kann es eine universelle Funktion des Internets wie einst die Email werden. Diese Protokollwerdung oder Verprotokollierung ist den sozialen Medien, die heute vorherrschend sind, strukturell nicht unbedingt eingeschrieben, waren sie doch von ihrer frühesten Entwicklung mit dem Gedanken, potentiell profitabel zu sein, durchtränkt. Sie können daher nicht akut umgeschrieben werden, wir stehen vor der scheinbaren Wahl, entweder neue Dienste zu entwickeln, denen das Prinzip des Protokolls im Kern steckt, oder langsame, aber stetige Umformung der vorhandenen Strukturen zu initiieren. Interessant wird dabei auch sein, in welchem Ausmaß bestehende Teilapparate in neue Strukturen mitgetragen werden können, was einer höheren Konversionsrate sicherlich zuträglich wäre.


diaspora* als Vorbild: User-Plattform-Verhältnis als Kernfrage

Interessante Schritte in diese Richtung machte beispielsweise schon die als open source-Alternative zu Facebook angetretene Plattform diaspora, welche in ihren Funktionsweisen ähnlich wie Facebook oder noch mehr wie das stark von diaspora inspirierte Google+ angelegt ist, das Datenschutz- bzw. Datensuchtproblem dadurch angeht, dass niemand alle Daten sammeln kann, da niemandem die gesamte Infrastruktur gehört. Gelöst wird dies durch eine Vielzahl von unabhängigen Instanzen der diaspora-Struktur, jeder Teilnehmende, jedes Mitglied ist ein potentieller host des plattformausführenden Codes. Damit erinnert es an nichts so sehr wie an frühe MMORPGs oder IRC-Channels: Die Nutzerinnen der Plattform stellen die Serverstruktur, die sie benutzen, her. Hieraus zeichnet sich neben dem Hauptanliegen des Datenschutzes, welches über eine neu verteilte Datenhoheit geregelt wird, ein neues Verständnis der User-Plattform-Beziehung ab. Die Nutzerinnen sind die Plattform und das Medium. Diese Beziehung ist nun nicht neu, keine der marktführenden Plattformen wäre in irgendeiner Weise funktionsfähig ohne ihre Nutzerinnen und doch scheint es eine neuartige Gewichtung und Wertschätzung zu sein, haben doch die profitorientierten Unternehmen dieses Verhältnis tunlichst zu maskieren gesucht. Dabei haben sie eine nominelle Umformung eingesetzt: Der Fokus liegt zeitgenössisch insofern nicht auf der handlungsnotwendigen strukturellen wie inhaltlichen Tätigkeit der Nutzerinnen, als dass sie Arbeit leisten und durch diese Arbeit die Infrastruktur aufrechterhalten, sondern auf ihrer Existenz als Asset. Durch diesen simplen Perspektivenwechsel machen die Plattformbetreibenden ihre Nutzerinnen aus handlungsfähigen und in ihrer Position mit signifikanter Macht betrauten Akteuren selbst zu Inhalten. Die einzelnen Stimmen auf der Plattform werden so im Diskurs mehr und mehr als Content wahrgenommen und Content kann ohne gröbere moralische Schwierigkeiten besessen werden. Mit diaspora scheint der Versuch gestartet worden zu sein, den Nutzenden ihre Position als Agierende wieder deutlich vor Augen zu führen. Damit ist diaspora* nicht nur als potentielle Alternative wichtig, sondern als kulturelles Agens im gesamten social media-Bereich. Wenn die Dispersion der Serverstrukturen ein nächster wichtiger Schritt, vor allem für jene Plattformen des Typus Facebook, ist, so sollten sich vielleicht jene Dienste, welche auf einem wesentlich kurzlebigeren turnaround basieren, wie es beispielsweise an prominenter Stelle Twitter tut, die schon vielfach ins Spiel geworfene Protokoll-Natur von Email wirklich explizit als Vorbild nehmen. Die größte Hürde für eine flächendeckende Entwicklung in diese Richtung neben dem weitergreifenden kulturellen Duktus und Profit als einziges anerkanntes Zeichen des Erfolgs, stellt die Finanzierungslage struktureller Entwicklung dar: Wer selbst große Resourcen in die Entwicklung eines neuen social media-Dienstes investiert, gibt natürlich nicht gerne nach Abschluss dieser Entwicklung die Zügel aus der Hand, es besteht hierin eine simple und doch tiefgreifende quid pro quo-Wahrnehmung. Um das neue social medium also als gesellschaftlich orientierte Mechanismen sicherzustellen, muss deren Entwicklung von der Gesellschaft finanziell wie strukturell getragen werden. Nur, indem die Entwicklung kein Verausgaben mehr darstellen muss, werden wir einen Stand erreichen können, indem der Profit des Betriebs nicht mehr als verdiente Belohnung bzw. überhaupt erst als Ziel des Projekts angesehen wird.

Juni 2018