Vom Vergraben und Wachsen

Vom Vergraben und Wachsen


Dieser Text enstand als Beitrag für das Programmheft zur Produktion “blind gang boom, once we were golden” von Eleonore Belasi am Theater Phönix Linz. Uraufführung 16. Februar 2022.


Verbindungen werden hergestellt, Abmachungen werden gebrochen, Begründungen werden auf ihren Wahrheitsgehalt abgeklopft.

Dabei offenbaren sich drei Figuren, deren Voraussetzungen und Rollen in Zeit und Raum erstmal unterschiedlicher nicht sein können, oberirdisch. Ja, oberirdisch sind die Positionen klar, die Aufgaben sind klar, die Meinungen sind auch klar und nicht zu hinterfragen.

Doch dann geht es unter Tag. Und während man sich weiter in die Erde gräbt, zeigen sich plötzlich mit aller Deutlichkeit Linien im Denken und Handeln, Ketten von Verantwortlichkeiten werden unabstreitbar.

Drei Figuren stecken dann da unten in der Erde und tasten sich gegenseitig ab. Natürlich wird so ein wortwörtlich näheres Kennenlernen von der räumlichen Enge eines solchen immerfort auch einsturzgefährdeten gerade erst Gegrabenen befeuert, doch tut sich auch eine weitere Dimension auf: die Erde selbst, in die sie hineingezogen sind. Mit viel Ironie und Biss bringt der Blindgänger anfangs das Sprichwort “Alles Gute kommt von oben” - die logische Folge daraus bleibt allerdings unausgesprochen: Alles, was von oben kommt, landet irgendwann unten und wird mit der Zeit zugeschüttet und verschwindet schließlich in der Erde. Aber verschwindet es wirklich?

Die Konsequenz aus dem Herunterfallen, Hinunterbuddeln und Vergraben ist, dass in der Erde mit unheimlicher Dichte Wissen von verschwundenen Dingen, Menschen, Knochen, Seelen lagert. Nicht umsonst spricht Eleonore Khuen-Belasi in Bezug auf das Stück von einer Sondage, einem Begriff aus der Erforschung geologischer Sichten. Denn das ist es ja, was der Maulwurf hier macht, wenn er Lady Die zum Namensuchen mit nach unten nimmt. Als sie auf den Blindgänger treffen, öffnet sich diese Archäologie des verschütteten Wissens um einen weiteren Aspekt. Das gesuchte, weil verlorengegangene Wissen ist plötzlich konfrontiert mit einem weniger gewünschten, mit dem, der gerade diese Namen vernichtet hat. Und plötzlich stehen diese zwei zuvor noch so diametral gegenübergestellte Größen in Verbindung zueinander. Das ist der Zauber der Erde, alles in ihr schlägt Wurzeln und wird über kurz oder lang Teil des Rhizoms, des Netzwerks all der durchlebten Dinge.

Die werdende und sich vertiefende Verbindung geht auch an den beiden Suchenden nicht vorüber: Lady Die zeigt eine wachsende Sympathie für den Blindgänger, unabhängig seiner Funktion als Weltkriegsbombe, die dem Maulwurf zunächst absurd vorkommt. Doch so befremdlich ist das gar nicht. Steht sie doch in einer langen Linie (aristokratischer) Machthabender und Entscheidungsträger:innen, und ist damit historisch und fast schon genetisch für das Abwerfen solcher Bomben mitverantwortlich. Unter der Erde entsteht hier live Klassenbewusstsein und - entscheidend - damit verbundenes Schuldbewusstsein.

Da es nun bekanntlich weh tut, Verantwortung zu übernehmen, dann der Reflex, sich von derartiger Angreifbarkeit zu isolieren. Lady Die funktioniert alles Metallische an ihr zu Panzern um und macht sich, ohne das zu beabsichtigen, ihrem Blindgänger immer ähnlicher. Während sie Schutz hinter Ringen, Ketten und Goldzähnen sucht, beharrt er auf seiner Uniform, denn er weiß, feldgrau steht ihm, was ihm zumindest den Schein von Sicherheit gibt in dieser Gewissheit, dass jede falsche Bewegung, jeder falsche Gedanke da unten eine Katastrophe auch dort oben bedeuten kann.

Das macht dem Maulwurf die Arbeit schwerer, denn - so die These - gerade diese von Schuldgefühlen isolierende Panzerung muss aufgeweicht, ja, aufgelöst werden, will man den Blindgänger entschärfen, also unschädlich, vielleicht sogar nutzbar machen. Um, ohne eine Explosion auszulösen, in eine mögliche permanente Zukunft zu kommen, muss die isolierende Praxis des Zuschüttens und Vergessens aufgegeben werden, denn Dinge, die man vergräbt, haben grundsätzlich die Angewohnheit, zu wachsen.