Abstraktion ist ein Verb

Abstraktion ist ein Verb

Spielprinzipe in Lenas Welt


Dieser Text enstand als Beitrag für das Programmheft zur Produktion “Gentrizier dich!” von Carla Niewöhner am Theater Phönix Linz. Österreichische Erstaufführung 8. Februar 2024.


“Willkommen in Lenas Welt!”, lässt Regisseur Josef Maria Krasanovsky seine Spielenden sehr früh sagen. Und damit sprechen sie tatsächlich eine Einladung an das Publikum aus, sich auf all das Kommende, was der Kopf der Lena Zimmermann so erdenken könnte, einzulassen.

Carla Niewöhners “Gentrifizier dich!” feierte Uraufführung am Theater Regensburg, doch entstanden ist es davor als eine Stückentwicklung und Werkstattarbeit in Konstanz. Oft hat dieser Entstehungsprozess zur Folge, ein besonders spezifisches, auf die dem Prozess entwachsene Inszenierung zugeschnittenes Stück hervorzubringen. Was bei nach­folgenden Inszenierungen des nun fertigen Texts ein besonderes Händ­chen erfordert - ist doch diese unmittelbare Immanenz der Stückent­wicklung nicht verschwunden, sondern tief im Kern des Texts verhaftet und liegt wie ein Farbfilter über dem Skript. “Gentrifzier dich!” wirkt dem schon im Ausgangsstoff entgegen, indem Niewöhner taktisch wie ästhetisch kluge Leerstellen und Platzhalter verwendet: Aus Konstanz und seinen besonders ansprechenden Plätzen wird STADT und WAHR­ZEICHEN. Die Autorin lädt ein, an diese Stellen die vergleichbaren Orte der eigenen Stadt zu setzen, wir haben uns dazu entschieden bei dieser Abstraktion zu bleiben und damit einerseits eine gewisse Allgemein­gültigkeit des Phänomens Gentrifzierung zu behaupten, andererseits diese Einladung zur ortskundigen Spezifikation weiterzugeben, denn niemand kennt die Linzer Ecken besser als das Linzer Publikum.

Einen Text über die Schrecken, Ursprünge oder Folgen von Gentrifzierung zu schreiben, wäre möglich, aber an dieser Stelle auch ein wenig redundant. Was dieser spezielle Effekt unserer hyperkapitalisierten Welt mit Menschen macht, sieht man schließlich auf der Bühne. Doch wie man das auf die Bühne bringt, darüber lässt sich schreiben.

“Gentrifzier dich!” ist eine Satire, das heißt, Handlungsbögen, Szenarien und vor allem Figuren werden überhöht, um exemplarische Aussagen treffen zu können. Das Setup - eine Personalienwelt, die um Lena Zimmermann herum rotiert - erfordert, dass all diese Figuren ebenso exemplarisch als archetypische Schablonen funktionieren. Praktisch verlangt es vom Ensemble, in rasanter Geschwindigkeit Rollenwechsel zu vollziehen. Hierfür braucht es eine Spielform, die diese permanent auftauchenden Figuren aufnehmen, etablieren und produktiv einsetzen kann, bevor sie der Logik des Abends folgend in der nächsten Figur wieder verschwinden.

Diese Spielform für Lenas Welt ist eine der aktiv von Spieler:innen, Bühne und Text gleichermaßen betriebenen Abstraktion. Abstraktion, die einen offenen Umgang mit den Einzelteilen des Stücks ermöglicht und der Inszenierung Flexibilität in der Erzählweise, Freude am Material und der Materialität der Geschichte und theatralen Drive einimpft. Eine Viel­zahl an Ebenen werden offengelegt, das Narrativ beeinflusst plötzlich den Dialog zwischen Figuren, und die Spielenden selbst können sich durch ihre Rollen hindurch zueinander verhalten.

Was hier entsteht, ist ein eng verwobenes Netz, das rhizomatisch, also aus vielfachen Richtungen kommend, miteinander verbunden und auf­einander aufbauend, theatrale Realitäten hervorbringt: Charaktere, die einmal da gewesen sind, schwingen als innere Instanz in den ihnen Folgenden mit und haben so weit über ihre eigentliche Präsenz ihre Finger am Puls der sich weiter beschleunigenden Welt. Sie prägen das große Ganze, das Rhizom, das Lena Zimmermann um sich spinnt und das zunehmend um sie herum verwächst, bis zum Ende mit.

Dieses umfassende Bekenntnis zur aktiv-offenen Spielform, einer Praxis des ständigen Ebenenwechsels, zum offensiv Unfertigen macht innerhalb des satirischen Stücks “Gentrifizier dich!” einen diskursiven Raum auf, der das Publikum mitnimmt in Lenas Welt, als Teil des Interieurs dieses Zustands. Daher ein Titel, der ähnlich dem Stück als Aufforderung ver­standen werden will, wenn auch weniger vorwurfsvoll. Die Spielwiese ist groß und erfordert den Willen zur Veränderung. Abstraktion ist ein Verb.